Gesundheit: Warum wandern so gesund ist
Bewegung ist die Medizin des 21. Jahrhunderts
Wandern als Bewegungstherapie & die gesundheitsfördernde Wirkung des Wanderns – ein Interview mit Alpinmediziner Dr. Bernd Haditsch
„Bewegung ist gesund“, weiß bereits der Volksmund.
Aber worin genau besteht, medizinisch betrachtet, ihre präventive Wirkung?
Bewegung hilft gegen Übergewicht, Bluthochdruck und die Zuckerkrankheit, schützt vor Krebs, stärkt den Kreislauf und das Immunsystem und stützt die Psyche. Daher ist Bewegung für mich das Medikament des 21. Jahrhunderts. Sich zu bewegen ist beinahe immer und überall möglich, es braucht nicht viel Zeit, kostet nicht viel Geld und – richtig angewendet – ist dieses „Medikament“ frei von Nebenwirkungen.
Welche Art der Bewegung empfehlen Sie besonders?
Es ist egal, was Sie machen, Hauptsache, Sie bewegen sich regelmäßig und mit Freude. Von allen Sportarten empfehle ich Wandern am liebsten. Wandern ist ein wunderbarer Ganzjahres- und Ganzkörpersport. Die Muskulatur und die Gelenke wollen bewegt werden, das Herz und die Lungen werden belastet, aber nicht überlastet und der Stoffwechsel wird angeregt. Neben der körperlichen Ertüchtigung werden zudem viele Sinne angeregt: Sehen, Hören, Fühlen und Riechen.
Eignet sich Wandern auch als Ausdauertraining?
Auf jeden Fall. Wandern ist eine exzellente Art des Ausdauertrainings. Für einen spürbaren Trainingseffekt ist es vorteilhaft, mindestens einmal pro Woche mehrere Stunden zu wandern. Das Tempo sollte so gewählt werden, dass man sich dabei gerade noch unterhalten kann. Ausdauertraining kommt der Gesundheit des Herz-Kreislauf-Systems sehr zugute: Um den Körper ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen, genügt beim trainierten Herzen ein niedrigerer Ruhepuls, auch der Blutdruck wird positiv beeinflusst. Zugleich wird die Atemmuskulatur gestärkt und die Lungenfunktion verbessert. Beim längeren Wandern in Höhen ab ca. 1.700 Metern verbessert sich zudem die Qualität der roten Blutkörperchen, was eine erhöhte Sauerstoffabgabe an den Körper und somit eine Leistungssteigerung bedeutet. All dies hat Vorteile für den Alltag: Gut trainiert kommt man bei körperlichen Anstrengungen jedweder Art nicht mehr so schnell ins Schnaufen und das Herz kann ökonomischer arbeiten.
Inwieweit ist Wandern auch Kopfsache?
Tatsächlich stärkt Wandern auch die Psyche: Bewegung in der Natur setzt viele positive neuropsychologische Prozesse in Gang und wirkt stark stimmungsaufhellend. Der Alpenverein hat diesen Effekt in einer ausführlichen Studie dokumentiert (siehe www.alpenverein.at/bk/tagungsband_2016/). Daher wird Wandern sogar als Therapie gegen Depressionen eingesetzt.
Worauf müssen Menschen mit Vorerkrankungen achten?
Wandern ist von jung bis alt möglich, auch mit bereits bestehenden Krankheiten. Ja, gerade Menschen mit Stoffwechselerkrankungen wie der Zuckerkrankheit und mit Herzkreislauferkrankungen wie Bluthochdruck profitieren vom Wandern nachhaltig, sodass Wandern als Bewegungstherapie immer mehr in die Therapiekonzepte dieser Krankheiten Eingang findet. Es hat sich gezeigt, dass auch bei Krebspatienten der Krankheitsverlauf durch Ausdauersport wie Wandern günstig beeinflusst wird.
Welche körperlichen Voraussetzungen braucht es für Wanderungen?
Um das Wandererlebnis sorgenfrei genießen zu können, ist es empfohlen, sich selbst und das Unternehmen richtig einzuschätzen. Die sportliche Leistungsfähigkeit hängt von einer Vielzahl an individuellen Faktoren ab: Gesundheitssituation, Konstitution, Kondition, Koordination und technisches Verständnis, nicht zu vergessen sind außerdem die Persönlichkeitsfaktoren wie Wille, Leidensfähigkeit und psychische Stabilität. Auch nicht beeinflussbare Faktoren wie Wind und Wetter müssen berücksichtigt werden. Für die Gesundheit nicht zu unterschätzen sind drei wesentliche Umweltbedingungen: Kälte, Wind und UV-Strahlung. Bedenken Sie, dass die UV-Strahlung um vier Prozent je 300 Höhenmeter zunimmt und dass es auch bei Nebel und Bewölkung zu Sonnenbrand und Bindehautentzündung kommen kann. Ebenso sollte man bedenken, dass sich Nässe und Kälte vor allem in Verbindung mit Wind und bei länger dauernden Wanderungen auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Denn zur Wärmegewinnung wird Muskelzittern verwendet, daher steht weniger Muskelkraft zur Verfügung.
Wie kann ich meine persönliche Leistungsfähigkeit messen?
Die Leistungsfähigkeit kann prinzipiell bei einer ärztlichen Untersuchung festgestellt werden. Es ist davon auszugehen, dass sich die Leistungsfähigkeit bis zu einer Höhe von 2.500 Metern nicht wesentlich vom Alltag unterscheidet. Eine gute Grundkondition ist selbstredend kein Nachteil. Beim Wandern in großen Höhen (ab 2.500 Metern), z. B. beim Trekking, sollte man berücksichtigen, dass die Leistungsfähigkeit pro 1.000 Höhenmeter um etwa zehn Prozent abnimmt. Um am Berg leistungsfähig zu bleiben, ist es notwendig, ausreichend – vorwiegend kohlenhydratreich – zu essen und genügend zu trinken. Wichtig: Nicht auf den Durst warten, denn das Durstgefühl kommt zu spät! Schon zwei Prozent Flüssigkeitsverlust – und das geht beim Wandern schnell – führt zu einer Verminderung der Leistungsfähigkeit. Ein guter Tipp: Der Harn soll wasserhell sein.
Was sollten Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Lungenkrankheiten beachten?
Traurige Tatsache ist, dass die Mehrzahl der Todesfälle in den heimischen Bergen – oftmals nicht erkannte – Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Ursache haben. Das Risiko ist mit Sicherheit das Nicht-Erkennen bzw. Verdrängen der Frühwarnsymptome. Daher rate ich jeder und jedem, eine jährliche Vorsorgeuntersuchung durchzuführen. In Österreich steht sie ab dem 18. Lebensjahr einmal pro Jahr kostenfrei zur Verfügung und in Deutschland wird der sogenannte Check-up 35 angeboten. Hierbei wird auf Risikofaktoren untersucht, die Sie nicht spüren – Blutdruck, Blutzucker und Blutfette. Gemeinsam mit dem Faktor Rauchen bekommen Sie eine gute Einschätzung, ob ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen besteht. Zudem werden Sie über mögliche Frühwarnzeichen informiert. Das ist wertvoll für den Alltag und für die aktive Freizeitgestaltung.
Darf man nach einem Herzinfarkt oder Schlaganfall noch auf eine Wandertour?
Ja, selbst nach solchen Ereignissen spricht nichts dagegen, wandern zu gehen. Im Gegenteil: Es gibt sogar eigene Rehabilitationsprogramme mit Wandern in mittleren Höhen. Die grundlegenden Gesundheitsrisiken müssen bestmöglich behandelt sein – ein erhöhter Blutdruck muss medikamentös gut eingestellt sein, ebenso eine Zuckerkrankheit. Betroffene müssen sich im Alltag leistungsfähig fühlen und beschwerdefrei sein. Die fachärztlichen Untersuchungen und Rehabilitationsverfahren nach einem derartigen Ereignis müssen ohne weitere abklärungsbedürftige Ergebnisse und ohne subjektive Beschwerden absolviert werden. Es ist wichtig, sich mit der Erkrankung gut auszukennen. Vom Bergwandern abgeraten wird Patienten mit instabiler Angina pectoris, einem immer wieder auftretendem Brustengegefühl, Kurzatmigkeit und Leistungsminderung, Personen mit mittel- bis hochgradigen Herzklappenerkrankungen sowie Patienten mit Lungenhochdruck und Patienten mit höhergradiger COPD (= chronisch obstruktiver Lungenerkrankung). Für das Höhentrekking sollten sich herz- und lungenkranke Personen rechtzeitig von speziell ausgebildeten Medizinern beraten und untersuchen lassen.
Wie vertragen sich Diabetes und Wandern?
Bei Typ-2-Diabetikern mit dem sogenannten Alterszucker ist Wandern ein hervorragender Ausdauersport, der die Stoffwechselsituation und damit den Blutzucker positiv beeinflusst. Typ-1-Diabetes, der zumeist im Kindes- bis Jugendalter auftritt, ist insulinpflichtig. Hier müssen Betroffene sehr gut Bescheid wissen und vor allem die Signale des eigenen Körpers gut verstehen, weil die Insulingabe bei körperlicher Belastung zu einer Unterzuckerung und damit möglicherweise zu körperlichen Gefahren führen kann. Die Betroffenen und vor allem die BegleiterInnen sollten mit der Notfallmedikation (Glucagon) geschult sein. Bei mehrtägigen Unternehmungen muss beachtet werden, dass Insulin kühl gelagert werden muss, aber nicht einfrieren darf.
Weitere Vorerkrankungen, die zu beachten sind?
Epileptiker müssen medikamentös gut eingestellt und schon längere Zeit anfallsfrei sein. Patienten, die blutverdünnende Medikamente nehmen, müssen wissen, dass sie eine erhöhte (Ein-) Blutungsgefahr haben – nicht nur bei äußerlichen Verletzungen, sondern auch bei einem stumpfen Trauma, einem Sturz mit Prellung im Brust- und Bauchbereich, ebenso wie bei einem Belastungstrauma der Gelenke wie einem blutigen Kniegelenkserguss.
Wie kann man orthopädischen Problemen vorbeugen?
Diese machen wohl die Mehrheit der sport- und auch wanderbedingten Gesundheitsstörungen aus. 80 Prozent der Wanderer geben an, gelegentlich bis regelmäßig Gelenksbeschwerden zu haben. Mit knapp 60 Prozent ist das Knie mit deutlichem Abstand das am meisten betroffene Gelenk, gefolgt von Sprunggelenk, Wirbelsäule, Hüft- und Schultergelenk. Das Problem sind chronische Überlastungsschäden. Während die Muskulatur gut und schnell trainierbar ist, können wir Sehnen, Bänder und Gelenke wenig bis gar nicht trainieren, zudem dauert bei Letzteren der Heilungsprozess wesentlich länger.
Das „Bergsteigerknie“ macht vielen Wandernden zu schaffen. Worin liegt die Ursache und was empfehlen Sie zur Prophylaxe?
Die Ursachen, warum das Kniegelenk besonders betroffen ist, sind mannigfaltig. Zusätzlich zur altersentsprechend zunehmenden Gelenksabnutzung kann eine ungenügend trainierte und/oder bereits ermüdete (Oberschenkel-) Muskulatur einen ungünstigen Effekt haben. Beim Bergab-Gehen kommt es zu einer – oft langanhaltenden – Druckbelastung der Kniegelenksknorpel, die das eigene Körpergewicht übertreffen kann. Präventiv wirken sich neben einem guten Krafttraining der Haltemuskulatur folgende Maßnahmen günstig aus: In der Tourenvorbereitung, wenn möglich, flachere Abstiegswege planen, nicht bergab laufen, gut passende Schuhe – evtl. mit Dämpfungskeil – und Gelenksbandagen verwenden. Fußfehlstellungen sollten mit gut passenden Einlagen korrigiert werden. (Knie-)Gelenksschonend sind jedenfalls Stöcke, wobei auf eine richtige Stocktaktik – nahe am Körper, gegengleicher Rhythmus von Armen und Beinen – geachtet und die Stolpergefahr nicht missachtet werden sollte. Der Rucksack kann wesentlich zum „orthopädischen Wohlbefinden“ beitragen.
Abschließend Ihre Einschätzung zum Wandern in der Schwangerschaft?
Ausdauersportarten wie Walken, Joggen, Schwimmen, Skilanglaufen und eben Wandern haben erwiesenermaßen einen günstigen Effekt auf die Schwangerschaft. Von Sportarten mit hohem Sturzrisiko und Extrembelastungen ist natürlich abzuraten.