Marokko, Mon Amour
In diesem Beitrag berichtet Weltweitwandern-Gründer Christian Hlade von seinen Wandererfahrungen in Marokko.
Reiseerinnerungen von WWW-Gründer Christian Hlade
Marokko war meine erste große „Endstation Sehnsucht“, als ich 1981, 17 Jahre jung, während meiner Interrail-Reise bis Marrakesch gekommen bin. 1986 und 1989 bin ich mit Freunden mit dem Auto nach und durch Marokko gereist. Inzwischen bin ich fast jedes Jahr dort, manchmal auch mehrmals. Marokko war und ist für mich der maximale Kontrast zu meinem westlichen Leben in der kürzest möglichen Entfernung von meinem Zuhause.
Magisches Marrakesch
Marrakesch ist für mich die Essenz des Orients. Die verwinkelten Gassen der Medina, der Altstadt, die Düfte der Gewürze, die schillernde Opulenz der Waren in den Geschäften, die Teppiche, das Gedränge von Menschen in bunten Gewändern, das alles ist wie ein Rausch. Wenn am Nachmittag die Märchenerzähler, Wahrsager, Akrobaten und Wunderheiler ihre Stände am großen Jemna-al-Fnaa, dem „Gauklerplatz“, aufbauen und der Rauch der vielen Essensstände die Szenerie in mystische Nebelschwaden hüllt, fühle ich mich endgültig in einer anderen Welt.
Wie eine Zwiebel, Schale um Schale, lässt sich das alte Marrakesch entdecken: wunderschöne Moscheen, Paläste, Höfe ehemaliger Karawansereien und Koranschulen. Der größte Reichtum aber liegt verborgen hinter teils baufälligen dunklen Gassen der Wohnviertel. Hier befinden sich hunderte der sogenannten Riads. Ein Riad ist ein traditionelles marokkanisches Haus oder ein Palast mit einem Innenhof oder inneren Garten. Der Begriff kommt vom arabischen Wort für Garten, riyād, und geht auf die lokale Übernahme der Bauweise römischer Atriumhäuser zurück. Man betritt hier von der Außenwelt völlig abgeschirmte kleine Paradiese mit Wasserbecken, Gärten und sinnesbetörender orientalischer Architektur: Teppiche, Farben, Fliesen, Kunsthandwerk und mit Gipsstuckatur verzierte Decken. Das Non Plus Ultra ist es, einige Tage in so einem Riad zu wohnen.
„Marokko gleicht einer Zimmerflucht, deren Türen sich öffnen, wenn man hindurchgeht. Man kommt nur weiter, wenn man das Land immer wieder besucht, sich immer aufs Neue wundert und die Neugier bewahrt, es zu verstehen und sich ihm zu nähern. Jede Tür eröffnet einen anderen Ausblick: auf einen Raum, ein Gesicht, eine Stimme, ein Geheimnis.“
Tahar ben Jelloun
Was ich für mich entdeckt habe: in der Früh, wenn die Stadt erwacht, durch Marrakesch joggen. Beim Laufen mit einem Stadtplan lernt man die Textur, die eigentlich höchst logische Anordnung von Marrakesch zu verstehen. Aktuell wächst die Stadt unter dem Einfluss sichtlich kluger Architekten und Stadtplaner, überall entstehen Parks und Fußgängerbereiche, Geschäftsviertel und Wohnzonen. Folgen Sie aber auch Hotel- oder Restaurant-Schildern in finstere Gassen und lassen Sie sich verzaubern!
Wüste und Sehnsüchte
Südlich von Marrakesch gelangt man in wenigen Stunden in eine fremdartige Welt aus Gelb, Rosa, Orange, Braun, Lila, Violett und Hellblau. Der Weg in die Wüste führt über die im Winter schneebedeckten Gebirgszüge des Hohen Atlas, durch palmengesäumte Oasendörfer bis ans Ende der Pisten bei beispielsweise M´Hamid. Dort endet die „Zivilisation“ und die Sahara beginnt.
Unsere Reisenden werden von der Wüste immer am meisten berührt. Viele Menschen haben märchenhafte Bilder davon in sich, von Karawanen und vom Orient, offenbar gibt es da eine tiefe Sehnsucht. Die Landschaften sind fast surreal – weite Täler, Dünen, schwarze Felszacken, die wie Riffs aus dem roten Sand ragen, man kommt sich vor wie auf dem Mond. Die Weichheit der Formen, die Stille – der Sand ist ein enormer Schallschlucker – versetzt einen in einen ganz eigenen psychischen Zustand. Dromedare tragen das Gepäck, ihre gleichförmigen schaukelnden Schritte lullen einen ein wie die Sprechgesänge der Männer in Berbersprache. Langsam gewöhnt man sich an den Rhythmus des Gehens, Schauens und Rastens. Hier denkt man andere Gedanken, hier hat man andere Gefühle. Die vermeintliche Leere öffnet den Blick für Details, nichts lenkt ab.
Wobei die Wüste nicht immer nur schön ist. In der Früh und am Abend ist sie schön, da erscheint sie so schmeichlerisch orange. Mittags dagegen ist das Licht gleißend und hart, manchmal bläst einem der Wind den Sand um die Nase. Am Abend wiederum ist die Wüste einfach ein riesiger Sandkasten. Die Nacht legt sich über das Camp, man sitzt am Lagerfeuer und denkt sich, dass der Sternenhimmel nirgends so schön ist wie hier.
Für viele Wüsten-Wanderer ist es ihre erste Zeltreise; sie klagen, dass es sie beim Schlafen piekst und ihnen das Kreuz weh tut. Man lotet also in der Wüste ein bisschen die eigenen Grenzen aus, und hinterher ist man stolz darauf.
„Die Wüste beschenkt, sie verändert dich. Gib dich hin, entsage, leide, kämpfe, durchquere die Wüste voller Durst, weise die Tränen zurück, und so werde ich dir zur Entfaltung deiner selbst helfen.“
Antoine de Saint-Exupéry
Marokko und seine Menschen
Meine Liebe zu Marokko gilt vor allem auch den Menschen. Seit 1999 kenne ich nun meinen Freund und Partner Lahoucine aus dem Hohen Atlas und seine Schweizer Frau Brigitte. Ich war 2001 bei Brigittes Übersiedlung nach Marokko dabei und habe ihre Ängste mit dem Ratschlag begleitet, an den sie mich heute noch erinnert: „Probier doch das Leben in Marokko einfach einmal für ein bis zwei Jahre aus. Das macht sich gut im Lebenslauf, und wenn es nicht funktioniert, gehst du halt wieder zurück.“ Inzwischen leben die beiden mit ihren zwei Kindern seit bald 20 Jahren zusammen in Marrakesch und ihr Haus ist auch für mich ein wenig ein Zuhause. Sie und ich haben im selben Jahr unsere Firmen gegründet, wir haben um die selbe Zeit unsere Kinder bekommen – wir haben einfach schon sehr viel gemeinsame Geschichte.
Seit vielen Jahren kenne ich auch Brahim, er führt seit 2005 unsere Wandergruppen. Brahim wirkt nicht nur gelehrt, er ist es auch, denn er hat Literaturwissenschaften studiert, bevor er auf Wanderführer umsattelte. Seine zurückhaltende und umsichtige Art ist für mich typisch für die Mentalität vieler Berber. Bei der ersten Begegnung entspricht er vielleicht so gar nicht dem Bild vom offen auf die Menschen zugehenden Guide. Wenn man aber mit ihm unterwegs ist, bemerkt man schnell seine Offenheit für lebhaften Austausch und Diskussionen. So wie Marrakesch offenbaren sich hier auch die Menschen als vielschichtig und nicht auf einen Blick zu entschlüsseln. Brahim ist auch enorm aufmerksam für die Bedürfnisse seiner Gäste, auch das ist typisch für Marokko: Gastfreundschaft ist hier wirklich ein Teil der Kultur.
Die Küche: Das Beste aus vielen Welten
Die marokkanische Küche ist für mich die beste der Welt – okay, neben der thailändischen. Sie vereint osmanische, andalusische, jüdische, afrikanische und französische Traditionen auf dem Fundament einer uralten Berberkultur.
Häufig findet man eine Mischung aus Pikant, Scharf und Süß. Das führt zu Gerichten wie Tajine d’agneau aux pruneaux et noix (geschmortes Lamm mit Pflaumen und Walnüssen), Poulet aux citrons (Huhn mit eingelegten Zitronen) oder gar Pastilla au pigeon (Pie mit Taubenfleisch und Zimt). Zu großartigen Süßgebäck-Variationen mit Namen wie „Gazellenhorn“ wird der typische „Thé à la menthe“, also starker, grüner Tee mit frischer Pfefferminze und viel Zucker, raffiniert aus der Höhe in die Teegläser eingeschenkt, sodass sich oben ein Schaum bildet.
Die Farben des Atlas
„Die Berge bei euch in den Alpen sind schon sehr schön, aber unsere Berge leuchten mal orange, dann wieder grün, gelb, braun oder schwarz.“ Sagt einer, der es wissen muss: Unser Guide Brahim, der schon mehrmals mein Gast in Österreich war und die Alpen kennt. Wie gut es sich im Atlasgebirge wandern lässt, ist in unseren Gefilden aber noch wenig bekannt.
Es geht vorbei an Wacholder und Steineichen und über eine kurvenreiche Passstraße ins Tal von Aït Abbas. Zwei Kegelberge, einer mit einer Art Burg obendrauf: Wir sind angekommen im Glücklichen Tal, Aït Bougoumez, der Heimat meines Marokko-Partners Lahoucine. Unsere Herberge ist in typischer Lehmbau-Architektur errichtet. Hier lernen wir die traditionelle Berberküche kennen, die Teezeremonie und wie man Henna-Ornamente fabriziert. In der école vivante überzeugen wir uns, wie innovativ dieses von Weltweitwandern unterstützte Bildungsprojekt ist – und wie es die gesamte Region belebt, besonders die Frauen, die sich hier zu Kooperativen zusammenfinden.
Mit dem Schulgründer-Ehepaar der école vivante Itto und Haddou Mouzoun verbindet mich mittlerweile auch eine jahrelange Freundschaft. Die ehemalige deutsche Innenarchitektin bewirkt unglaubliche Impulse auf das doch recht erstarrte und zum Teil entmutigende marokkanische Bildungssystem.
Tagelang lässt es sich auf einer Höhe von 2.000 bis 3.000 Metern wandern, man entdeckt Felsgravuren, die von einem Leben vor unserer Zeit erzählen, Täler und abgelegene Dörfer. Jeder Passübergang birgt die Aussicht auf ein neues Bild in sich. Architektur, die Farben und Formen der Landschaft, die Kleidertraditionen, Landwirtschaft und Lieder der verschiedenen Berberstämme geben jedem Tal seine eigene Stimmung. Wir gehen vorbei an rosa blühendem Oleander, begegnen den Einheimischen auf ihren Wegen zum Feld oder zum Markt.
Vom 4.071 m hohen Ighil M´Goun, der in Berber auch „Sturm“ heißt und der dritthöchste Berg Nordafrikas ist, hat man eine herrliche Rundsicht auf den Hohen Altas und den Süden. Eine friedliche Stimmung breitet sich in der Abenddämmerung aus. Wir folgen dem Flug der Schwalben und schlagen unser Nachtlager in der Nähe einer Quelle oder an einem Bach auf.
Die beste Reisezeit ist für mich…
Nach Marokko kann man das ganze Jahr über reisen! Von Oktober bis April in die Wüste. Im Sommer dann ins bis 4.000m hoch gelegene Atlasgebirge oder an die kühle Atlantikküste.
Die beste Wanderung die ich dort gemacht habe ist …
Eine mehrtägige Wanderung in der Wüste ist für einen Alpenbewohner wie mich schon etwas Spezielles! Aber auch meine vielen Wanderungen im Atlas durch Oasendörfer und bunte Berge sind mir unvergesslich!
Was macht die Wanderung besonders?
Wenig andere Wanderer, die Stille der Wüste, der Wechsel der Farben im Tagesverlauf, das Spiel von Licht und Schatten in den Dünen. Die große Weite und die warm-orangen Farbtöne der Sandwüste machen auch die Stimmung und das Herz des Wanderers warm und offen! Das Wandern als Wüstenkarawane mit Kamelen und einem einheimischen Begleitteam, die Abende am Lagerfeuer unter Sternen …
Toll finde ich diesen Wanderführer, diese Karte
Marokko – Reiseführer vom Verlag „Reise-Know-How“
„Stimmen von Marrakech“ von Elias Canetti, „Der glücklichste Mensch der Welt“ von Tahir Shah
Auf was muss man aufpassen?
Ich schaffe es nie, wenig einzukaufen: Das marokkanische Kunsthandwerk ist für mich das beste der Welt: Teppiche, Lampen, Schalen, Tücher, Schmuck, Dekor und vieles mehr.
Mein persönlicher Geheimtipp:
Meine Lieblingsstadt neben Marrakech ist Essaouira an der Atlantikküste. Seeräuberromantik. Dort im Hafen den Fischerbooten zusehen und dann den ganz frischen Fisch vom Grill verspeisen.